Kapitel #3: „Ein geraubter Blick“

Ein geraubter Blick

Manchmal wurden wir in nebeneinanderliegenden Kabinen behandelt. Für eine natürliche Ventilation reichten die Wände zwischen den Behandlungsräumen bis 30 cm unter die Decke. Der lustige Schwabe fragte fröhlich seine Behandler aus: »Was essen Sie? Haben Sie Familie? Können Sie sich auch Hühnchen leisten? Fisch? Wie leben Sie?« Das alles in einem lustigen Schwabenenglisch. Seine Jungs flüsterten schüchtern die Antworten. »Wie ist das mit den Frauen? Schon verheiratet? Ab wann kann man sich das hier leisten?« fragte er fröhlich weiter. Aus den Nebenzimmern zischten Mitgäste um Ruhe. Meine beiden Damen kicherten und flüsterten leise. Sie hatten mich schon in der ersten Behandlung gefragt: »Are yuuu maaarit?« – »Sind Sie verheiratet?« Mein Kopfschütteln hatte sie traurig gestimmt. Die Ältere hatte mir sogar die Schulter getätschelt. Ich fand heraus, dass sie auch unverheiratet war und keine Kinder hatte. Sie lebte in einem Haus für »einsame« Frauen. In Sri Lanka stehen unverheiratete Frauen auf der Werteskala ganz weit unten. Frauen sind sowieso nicht gleichberechtigt. Für den nächsten Behandlungstag brachte ich Oropax mit. Das war zwar schade, denn die Brandung vom Indischen Ozean war ja Musik für meine Seele. Ich wollte einfach kein Spielverderber sein. Oder Nachtigall ick hör dir trapsen: War das wieder der angepasste Teil meiner Persönlichkeit

Nun hörte ich das Rauschen meines eigenen Blutes und meinen Herzschlag, als mich plötzlich spitze Schreie erschreckten und mir unsanft ein Tuch über meinen öligen Körper geworfen wurde. Ich schlug die Augen auf und sah meinem Nachbarn, dem lustigen Schwaben, direkt ins Gesicht. Sein Kopf ragte über die Wand. Er hing im Klimmzug und schaute auf mich herunter. Im schönsten Schwäbisch sagte er: »Wollt nur mal schauen, wie es dir geht, Ilse!« und lachte sein dröhnendes Lachen. Die Damen drohten ihm und wollten ihn verjagen. Sie stellten sich schützend vor mich und warfen mir weitere Handtücher und aua heiße Lappen über. Aber wie sollten sie das machen, ohne unfreundlich zu werden? Seine Masseure riefen unterdrückt: »Nononono Mister, nononono!« Also riefen meine Damen auch: »Nonononoo!!!« Mit einem weiteren Lachen war der Schwabe schwupp wieder weg. Ein vielstimmiges Zischkonzert begleitete seinen Abgang. Wir sechs lachten im Kanon in zwei Räumen. Immer wenn einer aufgehört hatte, brach es aus einem anderen wieder hervor und der steckte alle anderen wieder an. »Nonononoo!!!« Bis wir streng von der Managerin der Abteilung zur Ordnung gerufen wurden. Meine Damen flüsterten erregt in Srilankisch, sie hatten eine Idee. Das sah ich ganz deutlich. Ich lächelte sie, wieder nur mit Slip bekleidet, im Sesamöl nahezu schwimmend, auf meinen Bananenblättern liegend aufmunternd an. Sie fassten sich endlich Mut und wisperten mir zu: »Now, män has du maaarrry yiu!!! Guuut määän!« In ihrer Wahrnehmung hatte mich der Schwabe kompromittiert, indem er mich halbnackt im Öl auf dem Behandlungstisch liegend gesehen hatte. Ein geraubter Blick. Ich erzählte es beim gemeinsamen Abendessen. Alle in unserer Tischrunde fanden das lustig. Für uns Westler war es eine Art historische Bewertung seines Benehmens. Irgendwie auch schön.

(aus Gründen der Diskretion gibt es kein Foto von dem herzlichen Schwaben)